Robert Musil

"Ins Ungewisse hinsteuern"

Die erhalten gebliebenen Reisekoffer des Ehepaares Musil sind Teil des persönlichen Nachlasses, welcher seit Anfang der achtziger Jahre in Klagenfurt aufbewahrt wird.
Der schriftliche Nachlaß befindet sich in der Handschriften-, Autographen-
und Nachlaß-Sammlung der Österreichischen Nationalbibliothek
in Wien.

In der Ausstellung mit dem Titel "Ins Ungewisse hinsteuern" wird versucht, die Stationen von Musils Lebensreise mit Originalobjekten, Dokumenten, Fotos und natürlich mit Erstausgaben seiner Bücher - von den Verwirrungen des Zöglings Törleß bis zum Mann ohne Eigenschaften - nachzuzeichnen.

Nachdem Robert Musil nicht einmal ein Jahr lang in dem Haus in der Klagenfurter Bahnhofstraße gelebt hat, wurde bewußt darauf verzichtet, sozusagen historische Situationen zu "arrangieren", die mit dem MUSIL-HAUS nicht in Zusammenhang stehen. Die wertvollen Objekte aus dem persönlichen Nachlaß wurden in einen abstrakten Kontext gestellt.

Ein kurzer Blick in die Dauerausstellung des Literaturmuseums zum Thema

"Kl. in K." - Klagenfurt in Kärnten

Robert Musil wurde am 6. November 1880 in Klagenfurt geboren. Das Geburtshaus in der Bahnhofstraße trägt heute die Hausnummer 50. Musils Aufenthalt in Klagenfurt dauerte allerdings nur knappe elf Monate. Trotzdem versuchte er als rund fünfzigjähriger Autor in einer Notiz den Verlauf seines Lebens gleichsam auf Wurzeln zurückzuführen, die in der Geburtsstadt lägen: Ich bin am...geboren, was nicht jeder von sich behaupten kann. Auch der Ort war ungewöhnlich: Kl. in K.; verhältnismäßig wenig Menschen kommen dort zur Welt. In gewissem Sinn deutet sich in beidem schon meine Zukunft an [vgl. Robert Musil (RM): Tagebücher, Bd. 1, herausgegeben von Adolf Frisé, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag, 1983, S. 681].

Die Geburtsurkunde wurde von der katholischen Diözese Gurk für Robert Mathias Alfred Musil ausgestellt, der um 5 Uhr früh zur Welt kam. Das Dokument weist als Geburtsort St. Ruprecht bey Klagenfurt aus. Der heutige Stadtteil St. Ruprecht war im Jahr 1880 eine eigene Gemeinde.

Vier Jahre vor dem Sohn Robert kam die Tochter Elsa auf die Welt. Elsa Musil starb aber, noch nicht elf Monate alt, im Jahr ihrer Geburt und wurde auf dem Friedhof in St. Ruprecht beerdigt. Um 1940 spekulierte Musil über die Bedeutung der früh verstorbenen Schwester für sein eigenes Leben: [...] meine vor meiner Geburt gestorbene Schwester, mit der ich einen gewissen Kultus trieb...(Ich trieb in Wahrheit keinen Kultus; aber diese Schwester interessierte mich. Dachte ich manchmal: wie, wenn sie noch am Leben wäre; [RM: Tagebücher I, S. 952/953].

Man hat mir in meiner Kindheit und Jugend oft gesagt: du bist wie dein Großvater (vaterseits)! Das hieß: eigensinnig, energisch, auch erfolgreich, schwer umgänglich... [RM: Tagebücher I, S. 936]. Diese Eintragung in Musils Tagebuch bezieht sich auf den Großvater väterlicherseits. Matthias Musil, Sohn eines Kleinbauern aus Rychtarow in Mähren, früher Militärarzt, und seine Frau Aloisia, bewirtschafteten den "Plachelhof" vor den Toren von Graz.

Robert Musils Vater Alfred wurde 1846 in Temesvar/Timisoara (heute: Rumänien) geboren und wuchs in Graz auf. Er absolvierte an der Grazer Technischen Hochschule eine Ausbildung zum Maschinenbauingenieur, war dort später Assistent und für kurze Zeit Versicherungsinspektor in Brno/Brünn (heute: Tschechien). In Klagenfurt arbeitete er ab 1873 für die "Hüttenberger Eisenwerks-Gesellschaft AG". Alfred Musil publizierte 1878 im Braunschweiger Vieweg-Verlag seine - in Klagenfurt verfaßte - Abhandlung über Die Motoren für das Kleingewerbe.

Hermine Musil, geborene Bergauer, stammte aus Oberösterreich. Als "höhere Tochter" erhielt sie eine Erziehung, die sie in erster Linie zur Führung eines "standesgemäßen" Haushalts qualifizierte. ...meine Mutter war eigentümlich verwirrt. Wie verschlafenes Haar auf einem hübschen Gesicht [RM: Tagebücher I, S. 914].

Im Sommer 1874 fand die Verlobung von Hermine Bergauer und Alfred Musil statt und im Herbst des gleichen Jahres wurden die beiden in der Pfarrkirche St. Ruprecht bei Klagenfurt getraut. Das Ehepaar Musil wohnte von 1874 bis 1881 in einer Dienstwohnung in dem heute als MUSIL-HAUS bezeichneten Gebäude.

In der Ehekonstellation dominierte Hermine gegenüber dem sieben Jahre älteren, etwas pedantischen, Alfred, der überdies als ein etwas ängstlicher Mensch beschrieben wurde. Sie hat meinen Vater geschätzt, aber er hat nicht ihren Neigungen entsprochen... [RM: Tagebücher I, S. 935].

1881 wurde die "Hüttenberger Eisenwerksgesellschaft" mit der "Österreichischen Alpine Montan Gesellschaft" fusioniert. Das war für Musils Vater der Grund, die Firma und damit auch Klagenfurt zu verlassen. Er sah seine Karriere durch die Fusion beeinträchtigt. Alfred Musil wurde 1881 zum Direktor der Mechanischen Lehrwerkstätte in Komotau/Chomutov (Tschechien) bestellt. Aber schon 1882 übersiedelte die Familie nach Steyr in Oberösterreich, wo Musils Vater bis 1889 eine Fachschule und Versuchsanstalt für Eisen- und Stahlindustrie leitete.

1880 Robert Musil wird am 6. November in Klagenfurt geboren. Daran erinnert eine, vom österreichischen Bildhauer Fritz Wotruba angefertigte, Gedenktafel auf dem MUSIL-HAUS.

1881-1882 Die Familie Musil zieht nach Komotau (Böhmen).

1882-1891 Steyr (Oberösterreich). Besuch der Volksschule und der ersten Klasse des Realgymnasiums. Robert Musil gilt als guter Schüler mit vorzüglichen Noten, muß den Unterricht aber mehrmals wegen einer "Nerven- und Gehirnkrankheit" unterbrechen und bekommt in dieser Zeit Privatunterricht.

1891-1892 Ing. Alfred Musil wird an die Technische Hochschule nach Brünn berufen. Robert Musil besucht dort vorerst die Realschule.

1892-1894 Nach familiären Spannungen: Eintritt in die Militär-Unterrealschule Eisenstadt. In diesem Gebäude befindet sich heute die "Martinskaserne" des österreichischen Bundesheeres.

1894 - 1897 Besuch der Militär-Oberrealschule in Mährisch-Weißkirchen (Hranice). Diese Jahre werden zur biographischen Basis von Musils erstem Roman Die Verwirrungen des Zöglings Törleß. Durch die Beschäftigung mit dem Artilleriewesen entdeckt Musil technische Fähigkeiten und Interessen.

1897 Technische Militärakademie in Wien.

1898-1901 Abbruch der Offiziersausbildung. Studium des Maschinenbaus an der Technischen Hochschule Brünn, wo der Vater unterrichtet. Freundschaft mit Gustav Donath, dessen Vater ebenfalls an der Technischen Hochschule unterrichtet. Beziehung zu Herma Dietz. Erste dichterische Betätigung. Das Manuskript zum geplanten Werk Paraphrasen, kurzen Texten im Stile Peter Altenbergs, ist aber verlorengegangen. Um die Jahrhundertwende beginnt Musil seine Tagebücher zu schreiben.

Er empfängt, nach eigener Aussage entscheidende geistige Einflüsse durch die Werke der Philosophen Friedrich Nietzsche und Ralph Waldo Emerson, sowie durch die Schriftsteller Fjodor M. Dostojewski, Novalis, Maurice Maeterlinck sowie durch Rainer Maria Rilke.

1901 Robert Musil absolviert die Staatsprüfung zum Ingenieur.

1901-1902 Musil absolviert sein Militärjahr im k. u. k. Infanterie-Regiment Freiherr von Heß Nr. 49 in Brünn.

1902-1903 Durch Vermittlung des Vaters: Volontärassistent an der Technischen Hochschule Stuttgart. Beginn der Arbeit am Törleß.

1903-1908 Studium der Philosophie und der experimentellen Psychologie an der Universität Berlin, Freundschaft mit Alfred Kerr und Franz Blei.

1904 Musil holt die Reifeprüfung am Deutschen Staatsgymnasium in Brünn nach.

1905 In den Tagebüchern finden sich erste Überlegungen zu einem Roman, aus denen später Der Mann ohne Eigenschaften hervorgehen sollte.

1906 Der Roman Die Verwirrungen des Zöglings Törleß erscheint in Wien. Konstruktion eines Variationskreisels zur Untersuchung der Farbwahrnehmung (Farbkreisel nach Musil). Musil lernt die Berlinerin Martha Marcovaldi (geb. Heimann) kennen, die zu dieser Zeit mit einem Italiener verheiratet ist.

1908 Promotion in Philosophie, Physik und Mathematik mit einer Dissertation Beiträge zur Beurteilung der Lehren Machs.Verzicht auf die angebotene Möglichkeit zur Habilitation zugunsten des freien Schriftstellerberufes.

1908-1910 Schriftstellerische Tätigkeit in Berlin (u.a. für die Zeitschrift "Pan"). Arbeit an VereinigungenDie Schwärmer u.a.

1911-1914 Wiederum durch Vermittlung des Vaters wird Musil Praktikant und später Bibliothekar an der Technischen Hochschule Wien. Am 15. April 1911 heiratetet Robert Musil Martha Marcovaldi, die bereits zwei Kinder hat, Annina und Gaetano. Zwei Erzählungen erscheinen unter dem Titel Vereinigungen (Die Vollendung der Liebe, Die Versuchung der stillen Veronika).

1913 Musil ist u.a. Mitarbeiter der Zeitschriften "Loser Vogel", "Die Aktion", "Die Weißen Blätter", "Die Neue Rundschau".

1914 Redakteur bei der Zeitschrift "Die Neue Rundschau" (S. Fischer) in Berlin.

1914-1918 Offizier, zuletzt Landsturmhauptmann an der italienischen Front. Verschiedene militärische Auszeichnungen. Seit 1916 ist Musil Redakteur der in Bozen erscheinenden "Soldaten-Zeitung".

1917 Musils Vater wird geadelt. Der Adel ist erblich und steht auch den Nachkommen zu (Robert Edler von Musil).

1919-1920 Beschäftigung im Pressedienst beim Österreichischen Außenministerium in Wien. Von 1920 bis 1922 ist Musil dann als Fachbeirat im Staatsamt für Heereswesen tätig. Nach dem Ende der Arbeit im öffentlichen Dienst beginnen die finanziellen Probleme.

1920 Im Frühjahr dieses Jahres lernt Musil in Berlin Ernst Rowohlt kennen, der ab dem Jahr 1923 sein Verleger wird.

Ab 1921 Betätigung als Theaterkritiker, Essayist und freier Schriftsteller vornehmlich in Wien. Robert und Martha Musil lassen sich in der Rasumofskygasse nieder. Arbeit am Roman Der Mann ohne Eigenschaften.

1921 Fertigstellung des Schauspiels Die Schwärmer. 1923 Verleihung des Kleist-Preises für Die Schwärmer. Dezember: Uraufführung der Posse Vinzenz und die Freundin bedeutender Männer in Berlin.

1923-1929 Vizepräsident bzw. Vorstandsmitglied des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller in Österreich. Präsident ist zu dieser Zeit Hugo von Hofmannsthal.

1924 Hermine und Alfred Musil sterben nacheinander in Brünn. Robert Musils Erzählband Drei Frauen (Tonka, Grigia, Die Portugiesin) erscheint. Er erhält den Kunstpreis der Stadt Wien.

1927 Januar: Nach dem Tod Rilkes hält Musil in Berlin seine Rede zur Rilke-Feier. Im April kommt es zur Uraufführung des Schauspiels Die Schwärmer in Berlin. Musil protestiert gegen die Aufführung in einer stark gekürzten Fassung. Im gleichen Jahr erhält er den Gerhart-Hauptmann-Preis.

1931 Der erste Band des Romans Der Mann ohne Eigenschaften erscheint im Rowohlt Verlag. Musil bezeichnet das Buch in seinen Notizen als MoE. Großer Erfolg, doch die finanzielle Lage Musils bleibt gespannt. Seit 1931 setzt er die Arbeit am zweiten Band des Mann ohne Eigenschaften in Berlin fort.

1932 Gründung einer Musil-Gesellschaft in Berlin. So will man dem Schriftsteller die Weiterarbeit an seinem Roman ermöglichen.

Ein erster Teil des geplanten zweiten Bandes des Mann ohne Eigenschaften erscheint. Nach Errichtung der NS-Herrschaft verlassen Martha und Robert Musil Deutschland im Jahr 1933 und kehren nach Wien zurück. Wieder behindern finanzielle Schwierigkeiten die schriftstellerische Arbeit.

1934 Nach dem Berliner Beispiel wird eine Musil-Gesellschaft in Wien gegründet.

1935 Musil hält einen Vortrag vor dem "Internationalen Schriftstellerkongreß für die Verteidigung der Kultur" in Paris. Freundschaft mit dem Bildhauer Fritz Wotruba.

1936 Veröffentlichung der Prosasammlung Nachlaß zu Lebzeiten in einem Schweizer Verlag. Musil erleidet einen Schlaganfall.

Emigration über Oberitalien nach Zürich. Musils Bücher werden in Deutschland und Österreich verboten. 1939 übersiedeln Martha und Robert Musil nach Genf. Arbeit am Roman Der Mann ohne Eigenschaften unter schwierigen wirtschaftlichen Verhältnissen und menschlicher Vereinsamung. Unterstützung kommt vor allem von Pfarrer Robert Lejeune sowie von verschiedenen Hilfsorganisationen.

1942 Robert Musil stirbt am 15. April in Genf. Er kann sein opus magnum nicht mehr beenden.

1943 Martha Musil gibt den unvollendeten Nachlaßteil des Romans Der Mann ohne Eigenschaften im Selbstverlag heraus. Sie bemüht sich, Musils Werk wieder im Bewußtsein der Öffentlichkeit zu etablieren und sucht Hilfe bei dem Schweizer Journalisten Armin Kesser.

1949 Martha Musil stirbt in Rom, im Haus ihres Sohnes Gaetano Marcovaldi.

1952-1957 Erstmals erscheint eine von Adolf Frisé edierte dreibändige Gesamtausgabe der Werke Musils bei Rowohlt.

Jung und Jung Verlag

ROBERT MUSIL Gesamtausgabe in 12 Bänden. Jung und Jung Verlag. (seit 2016)

Robert MUSIL: Gesammelte Werke, Neun Bände, herausgegeben von Adolf Frisé, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag, 1981.
Bd. 1-Bd. 5 Der Mann ohne Eigenschaften.
Bd. 6 Prosa und Stücke.
Bd. 7 Kleine Prosa. Aphorismen. Autobiographisches.
Bd. 8 Essays und Reden.
Bd. 9 Kritik. Literatur-Theater-Kunst 1912-1930.

Robert MUSIL: Tagebücher, Zwei Bände, herausgegeben von Adolf Frisé, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag, 1983.
Robert MUSIL: Briefe 1901-1942. Zwei Bände, herausgegeben von Adolf Frisé, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag, 1981.
Robert MUSIL: Der literarische Nachlaß, herausgegeben von Friedbert Aspetsberger, Karl Eibl und Adolf Frisé, CD-ROM; Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag, 1992.
Karl CORINO: Musil. Leben und Werk in Bildern und Texten, Reinbek bei Hamburg: Rowohlt Verlag, 1992.

Zugang zu allem Wissenswerten rund um Robert Musils Texte. Das Internetportal MUSIL ONLINE des Robert Musil-Instituts / Kärntner Literaturarchivs an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt.

Walter Fanta: geb. 1958 in Kärnten; Studium der Germanistik und Geschichte an den Universitäten Wien, Innsbruck und Klagenfurt; Beschäftigung mit dem literarischen Nachlass Robert Musils seit 1988; Mitarbeit an der CD-ROM-Ausgabe des Musil-Nachlasses an der Universität Klagenfurt; lebt seit 2000 in Wien, wo er im Auftrag des Robert-Musil-Instituts für Literaturforschung an der Universität Klagenfurt an der Erstellung der digitalen Edition des Gesamtwerks von Robert Musil arbeitet. Die Herausgeber-Arbeit von Walter Fanta wurde von der Stadt Klagenfurt unterstützt.